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Rot, Gelb und Blau: Eine Grundsatzfrage

von Silke Ettling

Drei kleine Rechtecke hängen and der Wand: ein rotes, ein gelbes und blaues. Auf Kante nebeneinander gesetzt, bilden sie einen Winkel von 90º. Die so konstruierte Ordnung misst 22 x 20 cm. Auf Holz gemalt, formieren sich die drei Farbfelder zu einer offenen Form, die von dem leuchtenden Gelb in der rechten, oberen Ecke im Lot gehalten wird. Das vierte Rechteck fehlt. Auf diese Weise öffnet sich die Farbkomposition zur Wand, die im Hupertzschen Haus weiß gestrichen ist. Der Untergrund fügt sich ein in die Winkelkonstruktion mit ihrem Farbenspiel und sensibilisiert den Betrachter für den Wahrnehmungsraum, in den diese Arbeit an ihrem jeweiligen Präsentationsort eingefügt ist. 7 cm erheben sich die drei Farbfelder von der Wand. Wie würden sie wirken, wenn die Wand eine andere Grundierung und Farbigkeit hätte?

Das kleine Auflagenwerk von Imi Knoebel aus dem Jahr 1988 hat keinen Titel. Objekt und Bild zugleich, prägt die spezielle Ordnung aus Form und Farbe den Gesamteindruck der Arbeit. Weiter ist nichts dargestellt. Weder die Farbfelder, noch ihre formale Anordnung sind symbolisch gemeint, sie sind weder Ausdruck einer bestimmten Emotion noch Mittel zum Zweck, einen gemalten Gegenstand oder Handlungsablauf zu strukturieren und zu bezeichnen. Sie sind, was sie sind: die Primärfarben des Farbenspektrums, auf Holz gemalt und nach den Gesetzmäßigkeiten der Geometrie geordnet.

Die Herauslösung der malerischen Grundkomponenten aus ihrem traditionellen Aufgabenfeld, Wahrnehmungen und Ideen zu verbildlichen, hat das Nachdenken über die Eigenheiten von Form und Farbe seit dem Umbruch zur Moderne um 1900 bis heute nachhaltig herausgefordert und beflügelt. Imi Knoebel, 1940 in Dessau geboren, knüpft mit seinen Fragestellungen an diesen Entwicklungsstrang der Moderne an. Zunächst mit Videoprojektionen beschäftigt, setzt sich der Künstler, inspiriert durch die Kunst Kasimir Malewitsch' (1878-1935), ab Anfang der 70er Jahre zunächst mit den Nichtfarben Schwarz und Weiß auseinander. In einem zweiten Schritt öffnet er dieses Untersuchungsfeld für die farblichen Eigenheiten von Holz, in einem weiteren für die Farbe Grün. Darauf angesprochen, antwortete er in einem Interview zu Beginn der 90er Jahre: "Warum Grün? Das war vollkommen subjektiv. Grün war das Natürlichste. Es ist die Farbe, von der man am meisten umgeben ist. Jedenfalls war es keine Theorie. (...) [Es] beinhaltete bereits alle Farben für mich, denn Rot, Gelb und Blau waren die Grundfarben. Die hatte ich nicht mehr zu durchdenken." (Imi Knoebel im Gespräch mit Dirk Luckow, in: Dirk Luckow, Imi Knoebel. "O mein Schatz", in: (AK) Imi Knoebel, (Hrsg.) Galerie Fahnemann, Berlin, Saladruck, Berlin 1994, (o.S.)).

Dennoch setzt er sich in einer langen Reihe von Variationen mit eben diesen Grundfarben auseinander. Eine Ausstellung, die nur ein Jahr nach dem Interview zum Jahreswechsel 1994/95 in Chemnitz gezeigt wird, ist mit dem provokanten Titel überschrieben: "Imi Knoebel - Rot Gelb Weiß Blau" . Schon in dem genannten Interview hatte der Künstler, auf die Primärfarben angesprochen, vermerkt: "Wie kann man diese Farben allein Mondrian und Newman überlassen? Das ist ein grundsätzliches Thema für einen Maler." (Imi Knoebel im Gespräch mit Dirk Luckow, in: Dirk Luckow, Imi Knoebel. "O mein Schatz", in: (AK) Imi Knoebel, (Hrsg.) Galerie Fahnemann, Berlin, Saladruck, Berlin 1994, (o.S.)).

Kasimir Malewitsch, Piet Mondrian (1872-1944) und Barnett Newman (1905-1970): Mit dem Hinweis auf seine künstlerischen Dialogpartner markiert Imi Knoebel zugleich wichtige Entwicklungsphasen in der künstlerischen Erforschung von Form und Farbe. Als maßgebliche Wegbereiter im Umbruch zur Moderne haben insbesondere Malewitsch und Mondrian schon früh den Schritt in die gegenstandslose Kunst vollzogen und als eine der Ersten beide Komponenten zum alleinigen Grundelement der Bildgestaltung gemacht. In Abgrenzung zu den zeitgleich entwickelten Fragen einer expressiven Farberforschung rückt in ihren Werken die Beschäftigung mit den Gesetzmäßigkeiten der Geometrie und Farbenlehre in den Vordergrund. Damit werden gerade auch ihre Positionen zu einem entscheidenden Motor für die Ausprägungen des Konstruktivismus, der auch die gedankliche Keimzelle der Hupertzschen Sammlung bildet. Barnett Newman seinerseits knüpft, nur eine Künstlergeneration später, an die Bildentwicklungen der expressiven Farberforschung an. In seinen frühen Ansätzen kombiniert er vertikale und horizontale Linien- und Kreisformen auf dem Malgrund miteinander, die ihre Spannung aus dem Kontrast zwischen Fläche und optisch erzeugtem Leerraum beziehen, den wiederum Imi Knoebel - noch eine Generation später - in den von ihm entwickelten Experimenten zum Verhältnis von Form und Farbe, Fläche, Material und Grund, auf seine Weise weiterdenkt.


Mit seinem kleinen Auflagenwerk von 1988 kommentiert er vor allem eine 1969-70 entstandene Arbeit von Newman, in der sich dieser - nicht ohne Ironie - mit der neoplastischen Bildtheorie von Mondrian auseinandersetzt . (Die hier zugrunde gelegte Beschreibung bezieht sich auf das zuletzt entstandene Bild aus der Reihe von vier Werken, in denen sich Barnett Newman mit dem genannten Titel auseinandersetzt. "Who's afraid of red, yellow and blue" IV wurde 1982 von den Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus dem Nachlass des Künstlers angekauft.)

Mondrians Konzentration auf die Balance zwischen Primär- und Nichtfarben, zwischen Linie, geometrischer Form und Fläche folgend, hat Newman zwei gleichgroße Flächen Rot und Gelb, verbunden durch einen ca. 50cm breiten, vertikal gesetzten Streifen Blau, auf einer 274,3 x 604,5 cm großen Leinwand in Beziehung gesetzt. Der zugespitzte Kontrast zwischen den Farbfeldern ist, nicht zuletzt bedingt durch das enorme Ausmaß der Grundfläche, extrem hoch und physisch spürbar, wenn man nah vor die Leinwand tritt. Herausgelöst aus den Gesetzmäßigkeiten der neoplastischen Theorie, die dem Ideal der ausbalancierten Gegensätze folgt, erzeugt Newman eine Bildsituation der permanenten Reibung, komponiert durch die gegeneinander gesetzten Formen und Farben. Newmans Titel "Who's afraid of red, yellow and blue?", wer also hat Angst vor Rot, Gelb und Blau, ist Provokation und Programm zugleich. In der Rückführung dieser Farbfelder auf das Taschenformat konterkariert Knoebel die von Newman intendierte physische Wirkung, ohne die Spannkraft des Farb-Form-Gefüges zu mindern. Mit der stark zurückgenommenen Größe der Malfläche setzt er einen Kontrapunkt zur unmittelbaren Wirkung der forcierten Farbkontraste und schafft so einen Wahrnehmungsraum zwischen Annäherung und Distanzierung, in dem der Betrachter das Zusammenspiel von unmittelbarer Wirkkraft und analytischer Kompositionsstruktur des Farb-Form-Experiments durchdenken und erleben kann.

Mit der Öffnung dieses Wahrnehmungsraumes für das Reflektieren über die Grundkomponenten einer gegenstandslosen Kunst bündelt Imi Knoebel zentrale Fragestellungen der Moderne und setzt damit wichtige Impulse, das Erforschen von Farbe und Form, von Fläche, Material und Grund in diese Richtung weiter voranzutreiben. Für die Hupertzsche Sammlung bildet das kleine Auflagenobjekt mit dem von ihm inspirierten Gedankengängen auf diese Weise eine wichtige Gelenkstelle für das Zusammenspiel von konstruktivistischer Keimzelle und den facettenreichen Positionen von Künstlern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich gegenwärtig ? wie etwa Anita Stöhr-Weber mit ihren Ansätzen zur reinen Materialität der Farbe und Brigitte Stahl mit ihren minimalistischen Farb-Form-Material-Kompositionen - mit verwandten Fragen der gegenstandslosen Kunst auseinandersetzen.

Silke Ettling, Rot, Gelb und Blau: eine Grundsatzfrage, in: (AK) Zwischen Konstruktion und Reduktion. Zwei Generationen Sammeln, 23. September bis 16. Dezember 2007, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf, (Hrsg.) Herwig Guratzsch und Ste-phan Hupertz, Schleswig 2007, S.66-68.